Einen Blick über den Tellerrand wagen

Zehn Studierende nahmen in diesem Semester am International Study Program an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal teil, dass am 13. Juli endete. Sie alle verbindet der Traum einer echten interkulturellen Gemeinschaft unter dem Dach der Kirche. Ein Gespräch mit Luisa Kappes und Ray Kam.

Wenn Luisa Kappes früher im Kindergottesdienst den Geschichten lauschte, dann hatte sie einen weißen Jesus vor Augen. Auch als sie später selbst erste Andachten hielt, blieben diese Bilder vertraut. „Heute ist Jesus für mich nicht mehr weiß“, sagt sie. Und dann erzählt die Theologiestudentin von einem Treffen mit ihren Kommilitonen des International Study Program, das ihr Bild veränderte. Sie saßen in einer Runde – Stipendiaten aus Afrika, Asien und Deutschland – und sprachen über ihren Glauben. Mit welchem Jesus-Bild sie sich wohl fühlen würden, fragte jemand und deutete auf eine Vielzahl von Kunstdrucken. Abstrakt und ganz konkret, asiatisch, afrikanisch, europäisch: Jesus hatte viele verschiedene Gesichter. „Ich habe an diesem Tag eine ganz neue Perspektive gewonnen“, sagt Luisa Kappes.

Freude an Austausch mit Menschen aus Afrika und Asien

Genau das hatte sich die 22-Jährige gewünscht, als sie sich im vergangenen Jahr für das International Study Program bewarb, das die Kirchliche Hochschule in Wuppertal gemeinsam mit der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) ausgeschrieben hat. Sie studierte im fünften Semester Theologie auf dem „Heiligen Berg“, hatte viele gute Erfahrungen mit Kirche und christlicher Gemeinschaft gemacht und ein großes Interesse an Religionswissenschaften entwickelt. „Mir gefiel die Vorstellung, darüber mit Menschen aus Afrika und Asien ins Gespräch zu kommen“, sagt sie.

Aufgewachsen in einem buddhistischen Elternhaus

Am anderen Ende der Welt ging es einem jungen Theologen ganz ähnlich: Ray Kam (35) aus Hongkong hatte sein Theologiestudium bereits abgeschlossen und arbeitete in einer Gemeinde. „Mein Weg auf den Heiligen Berg war lang“, sagt er heute und lacht. Aufgewachsen in einem buddhistischen Elternhaus hatte er erst mit zwölf Jahren den christlichen Glauben kennengelernt. Dort sei er mit Gott ins Gespräch gekommen und habe seinen Weg plötzlich ganz klar vor sich gesehen. „Ich wollte dienen“, sagt er. Und das will er immer noch – am liebsten in einer großen interkulturellen christlichen Gemeinschaft. Und deswegen passe das Programm so gut zu ihm.

Zehn Stipendiatinnen und Stipendiaten sind ein Jahr unterwegs

Zehn Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Afrika, Asien und Deutschland waren nun ein Semester lang gemeinsam unterwegs – sie lebten gemeinsam in den Wohnheimen auf dem Heiligen Berg, sie studierten gemeinsam, besuchten englischsprachige Vorlesungen und Seminare, unternahmen Exkursionen in andere Gemeinden, in Gotteshäuser ganz verschiedener Religionen und an Orte, die sie zur Diskussion einladen. Einmal in der Woche saßen sie bei der VEM zum Reflection-Meeting zusammen. Und sie suchten Antworten auf eine gemeinsame Frage: „Intercultural Church – (Im)possible Dream? – Eine interkulturelle Kirche – ein (un)möglicher Traum?“.

„Es ist noch ein Traum. Aber er ist nicht unmöglich.“

Ray Kam und Luisa Kappes sind sich einig: „Es ist noch ein Traum. Aber er ist nicht unmöglich.“ Zu viele positive Erfahrungen haben sie im Programm in den vergangenen Monaten gemacht, als dass sie keine Hoffnung hätten. Wenn sie zum Beispiel in der kleinen Kapelle auf dem Heiligen Berg sitzen und gemeinsam in das Halleluja einstimmen – „Dann kommen mir manchmal die Tränen“, sagt Ray Kam. Oder wenn sie über die Probleme und Herausforderungen der Welt ins Gespräch kommen und am Ende gemeinsam beten – „Dann ist da eine Verbundenheit, die mich anfangs überrascht hat“, sagt Luisa Kappes. Und auf wundersame Weise würden die Hühnchen-Gerichte aus Asien und Afrika gar nicht so unterschiedlich schmecken, ergänzt Ray Kam lachend.

Unterschiedlichkeit spielt auch eine Rolle

Es gibt allerdings auch Momente, in denen die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Programms die Unterschiedlichkeit wahrnehmen – im Temperament, in ihrer Art, die Welt zu sehen oder mit Blick auf Herausforderungen, mit denen sie zu kämpfen haben. „Dann sind wir uns einig, dass wir uns uneinig sind“, sagt Ray Kam. Das entscheidende sei die „freundliche Atmosphäre“, die dabei herrsche. Luisa Kappes nickt: „Diese Offenheit prägt unsere Gruppe und unser Miteinander“, sagt sie, „und sie macht mich sicher, dass es sich lohnt, sich für eine interkulturelle Kirche einzusetzen. Wir machen das hier schließlich schon im kleinen Rahmen. Und es funktioniert.“

Was die beiden Studierenden aus dem Programm mitnehmen

Und was nehmen die beiden mit, wenn das Programm mit dem Semester endet? „Ich habe gelernt, mir Zeit zu nehmen“, sagt Ray Kam. In Hongkong gehe immer alles so schnell, alle Menschen seien eilig. Das Theologiestudium dauere kaum zwei Jahre. Er will sich Zeit nehmen – für die Menschen, für den Glauben und für seinen Weg mit Gott. Er will seinen Master machen, vielleicht die Promotion in Angriff nehmen. Auch Luisa Kappes will Pfarrerin werden. Im nächsten Semester wird sie am Ökumenischen Institut in Genf weiterstudieren. „Das Programm hat mich verändert“, sagt sie, „ich bin kritischer geworden, habe einen neuen Blick für unterschwelligen Rassismus entwickelt, hinterfrage mehr und ich will es genau wissen: Wie kann ich helfen, eine interkulturelle Kirche aufzubauen.“ Dabei hat sie einen Wunsch: „Dass wir Gemeinden schaffen, in denen sich Menschen aus der ganzen Welt wohl und zuhause fühlen.“ Welches Gesicht Jesus hat, ist dann vielleicht gar nicht mehr so entscheidend.

Info: Das International Study Program

Am International Study Program an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal können Theologiestudierende aus den Mitgliedskirchen der Vereinten Evangelischen Mission teilnehmen. Studierende aus Afrika und Asien erhalten von der VEM ein Vollstipendium, das Lebenshaltungskosten ebenso wie die Studiengebühren umfasst. Deutsche Studierende erhalten ein Teilstipendium von 250 Euro im Monat.

  • 5.7.2022
  • Theresa Demski
  • Theresa Demski